Visions (issue 52)
Nur wenigen europäischen Rockbands ist es derzeit vorbehalten, einen respektablen Erfolg in den Vereinigten Staaten zu verbuchen. In Amerika schafften es die Londoner Bush sogar locker, ihre Landsmänner Oasis abzuhängen.
Doch auch das Quartett, auf das wir diesseits des Atlantiks wirklich stolz sein können, ist nicht frei von Häme. Daß diese nicht von ungefähr kommt und schon gar nicht auf dem Mist irgendwelcher Hirngespinste von rachsüchtigen Neidern gewachsen ist, darüber besteht eine gewisse Einstimmigkeit. Vordergründig wollen wir jedoch festhalten, daß Bush eine immense Zahl ihres Debüts “Sixteen Stone” verkaufen konnten und daß ihr zweites Werk “Razorblade Suitcase” diese wahrscheinlich noch übertreffen wird.
Zum Zeitpunkt des Gespräches mit Bush ist das neue Album gerade in trockenen Tüchern, der Clip zur ersten Single “Swallowed” just im Kasten und der `MTV-Viewers-Choice-Award` noch handwarm. Zu letzterem läßt sich nachträglich noch fein gratulieren, denn es ist schon einigermaßen überraschend, daß dieser Act, der zumindest in Deutschland nur einen begrenzten Bekanntheitsgrad erfuhr, in den Vereinigten Staaten ganz groß absahnte: “Wir sind wirklich sehr stolz darauf”, so Drummer Robin Goodridge. “Es ist eigentlich egal, woher du kommst. Solange du kein Amerikaner bist, kannst du dir auf diesen Preis wirklich etwas einbilden.” Gitarrist Nigel Pulsford sieht es ebenfalls von der geehrten Warte, denn im kommerziellen Musikbereich kommt ein MTV-Oscar heutzutage scheinbar einem Ritterschlag gleich: “Wir waren völlig überrascht, hatten eigentlich kaum gehofft, etwas zu gewinnen, höchstens für das beste alternative Musikvideo oder den besten Song in einem Film. Über die Nominierungen waren wir schon überglücklich, doch als es hieß, daß wir den Viewers-Choice-Award überreicht bekommen, waren wir völlig perplex. Das ist etwas, das du mit Geld nicht bezahlen kannst.”
Die Bewertungskriterien, die dem Erhalt einer solchen Auszeichnung zugrundeliegen, sind offensichtlich: Der Massengeschmack entscheidet – Millionen von Menschen können sich nicht irren. Was irgendwann einmal, vor noch gar nicht allzu langer Zeit unter dem Phantasienamen `Grunge` als ein dem Underground verbundener Stilmix aus melodiösem Punk und Rock entstand, hat sich in gut sieben Jahren nicht tot gelaufen, sondern läßt sich in seiner jüngeren, wertfreieren und umfassenderen Bezeichnung `Alternative Rock` vom Mainstream-Publikum feiern. Im Falle der nun offiziellen Publikumslieblinge Bush, gibt es sogar einen regelrechten Initiator: die kalifornische Radiostation KROQ nämlich, ein Rocksender mit großer Tradition, Reputation und allem, was dazu gehört. Nach Meinung vieler Menschen, die beste Frequenz der Welt: “Sie haben uns nicht wirklich entdeckt. Es war so, daß man ihnen ein Tape von `Sixteen Stone` aushändigt und gefragt hat. was sie davon halten. Die Leute bei KROQ waren so begeistert, daß sie sofort einige Songs daraus spielen wollten, doch nach unserem Terminplan war eine spätere Veröffentlichung vorgesehen, um einfach in eine bessere Jahreszeit zu kommen. Schließlich stimmten wir zu und brachten das Album früher heraus, was sich letztlich als ein Vorteil herausstellte. Wenn wir draußen gewesen wären und die Aufmerksamkeit der Medien erst auf uns hätten lenken müssen, um gespielt zu werden, wären wir, so glaube ich, drüben für immer tot gewesen. Das hätte nicht funktioniert, weil wir ja völlig unbekannt waren. So aber lief es vom Marketingstandpunkt betrachtet, genau falsch herum. Es hieß plötzlich: `Hey, wir haben hier eine verdammt gute Platte, doch wo ist die Band?`
Es lief also absolut auf der Basis unserer Musik, ohne daß irgendwie Hype im Spiel war. Wir waren, als die Nachfrage nach uns immer größer wurde, noch in England. In Amerika kannte uns niemand persönlich, niemand wußte, wer wir sind oder wie wir aussehen. Wir hatten einfach eine gute Platte und alles fragte sich: `Wer sind Bush?`”
Der Sender begann mit “Everything Zen” und “Little Things”, weitete sein Bush-Hauptprogramm später noch auf die folgenden Single-Auskopplungen “Comedown”, “Glycerine” und “Machinehead” aus. Dem Beispiel folgend, begannen die Nachbarstationen die Songs zu spielen, und eine Art Kettenreaktion war die Folge, so daß Bush nun flächendeckend bei nahezu jedem amerikanischen Rockradio gespielt wurden: “Das liegt an der Radiolandschaft in den USA. Sie haben dort unzählige Stationen und wenn ein bekannter Sender mit etwas beginnt, was einen Hauch von Popularität entfalten könnte, so ziehen andere einfach nach. In unserem Fall begann die Sache dadurch zu wachsen.”
Und es hat etwas Nachhaltiges, wenn ein europäischer Besucher der Staaten zum Sound der Briten stampft und nachher verwundert feststellen muß, daß ihm jene Band daheim so gut wie nie untergekommen ist und jenes musikalische Flair Kaliforniens, welches sich auch im Bush-Sound widerspiegelt, seinen Ursprung in einem Londoner Vorort hat. Robin: “Wir hoffen, daß die Leute genau dies fühlen. Es gibt mehrere Arten von britischen Bands. Die einen werden dort als typisch englisch betrachtet, doch es ist noch besser, auch wirklich akzeptiert zu werden. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder den gleichen Typ von Gruppen aus England. Diese Phobie innerhalb der Musik beginnt allmählich niederzubrechen und wir hoffen, etwas dazu beitragen zu können, indem wir uns als europäische Band in Amerika präsentieren. Wir wollen weg von diesen Vorurteilen und Etiketten. Es ist verdammt scheissegal, wo du herkommst. Schau dir beispielsweise dEUS an, die sich zur Zeit in England sehr gut behaupten. Sie kommen aus Belgien und hätten vor einigen Jahren niemals Beachtung gefunden. Es ist natürlich dumm, daß sie dafür englische Texte singen müssen, aber das führt halt auch dazu, daß sie noch mehr Leute erreichen können.”
Es wäre vielleicht noch bunter für das Quartett geworden, hätten sie nicht in ihrem Ami-Wahn den Heimatkontinent vernachlässigt. Hierfür machen Nigel und Robin vorrangig die europäischen Strukturen im Unterhaltungsbereich verantwortlich, doch es läßt sich, erst recht nach dem Wechsel zu einem anderen Major-Label, nur allzu leicht darauf schließen, daß ihre Plattenfirma es versäumte, sie auch hierzulande besser zu vermarkten: “Bei MTV-Europa sind wir kaum angekommen. Es war okay, aber richtig ernst genommen wurden wir nicht. Man hat Bush niemals zu einem wichtigen Thema gemacht. MTV`s Trennung zwischen Nord- und Südeuropa kommt uns dabei sogar noch zugute, denn wir setzen viele Hoffnungen auf England, Deutschland, Holland und Skandinavien. Ich glaube, daß wir dort besser zurechtkommen, denn die südeuropäische Szene in Frankreich, Italien oder Spanien ist eher cluborientiert und bevorzugt dieses Rave-Zeug. Außerdem fällt es uns vor allem in England schwer, Radio-Airplay zu bekommen, denn es gibt halt nur einen guten Sender mit zwei akzeptablen Shows und wenn du nicht in dieses Schema paßt, dann wirst du nicht gespielt und somit auch nicht gehört.