by Jochen Schliemann
Visions (issue 107)
Mit ihrem vierten Album “Golden State” festigten BUSH im Herbst 2001 nicht nur ihre Stellung als Alternative Rock-Institution, sie bekamen sogar das, was sie vorher niemals hatten und eigentlich auch kaum mehr erwarteten: Zuspruch aus Kritikerkreisen. Das beste Album der Bandgeschichte, eine gefeierte Clubtour im Dezember, Festivalauftritte im kommenden Sommer – Zeit für die lang verdiente Titelstory über einen der letzten großen Alternative-Acts dieser Generation. Zu Hause bei Bush in London boten sich viele schöne Einblicke – und eine negative Überraschung in Form einer personellen Umbesetzung.
“Jochen, could you do it next Friday at 2 pm with Thomas in Gavin`s house?” Bushs Manager Giles, über Weihnachten im Urlaub in Südost-Asien, sendet nach ewigem SMS-Hin und -Her um den Jahreswechsel endlich die Nachricht, dass der Hausbesuch bei Bush genehmigt ist. “Ich mache das hier nur für euch”, sagt Gavin Rossdale dann am 11. Januar, auf seinem Billardtisch sitzend, am Ende eines sehr netten Tages. “Ich wollte so etwas eigentlich nie wieder tun. Ich hatte einmal Presse in meinem Haus, `MTV Cribs`, vor etwa drei Jahren. Das war schrecklich.” Nicht so heute: Hinter uns liegen vier Einblicke in die Welt von mehr oder minder erwachsenen Männern, die längst andere Werte gefunden haben, als Mitglieder in einer Rockband zu sein.
Dave – das Gleichgewicht
“Na, so schlimm war das doch nun auch nicht!” Eden guckt ihren Vater mit tränenroten Augen an und nickt. Über ein Kissen ist sie gestolpert und auf die Nase gefallen – alles nur wegen der Aufregung, denn sie wird ja bald berühmt. “Schickt ihr uns einen Abzug?”, fragt Sarah. “Wir haben so wenig schöne Bilder von uns dreien.” Eden und Sarah sind Daves Familie. Dave Parsons, geboren am 2. Juli 1964 als eines von fünf Kindern, ist Bassist bei Bush.
Jedenfalls ab Anfang Februar wieder. “Entschuldigt die Unordnung, wir sind erst kürzlich hier eingezogen”, begrüßt er uns mit spülnassen Händen. “Mit Bush war ich vor Weihnachten für ein paar Radioshows in Amerika, kam am 22. Dezember nach Hause, und vor unserer alten Wohnung stand schon der Laster.” Notting Hill, das vorherige Zuhause der drei, sei in den letzten Jahren zu “Schickimicki” geworden. “Früher war dieser Stadtteil ein junger, kreativer Ort. Jetzt kommen die Yuppies und versuchen, sich in dieses Leben einzukaufen.
Sie töten alles durch ihr Geld.” 20 Jahre hat Dave dort gewohnt. Sowohl Sarah als auch seine zwei besten Freunde hat er dort kennen gelernt, das alles passierte in der Zeit vor Bush. In den dortigen Pub geht er heute noch, wenn er zu Hause ist – um seine Jungs zu treffen. Erfolg heißt für Dave “das Haus, meine Tochter und meine Dauerkarte für Arsenal! Endlich, nach all den Jahren habe ich sie. Natürlich bin ich nie da, wenn ein großes Spiel ist, aber ich gehe so oft hin wie möglich.”
Ein vierstöckiges Reihenhaus ist das neue Zuhause, direkt gegenüber Spielplatz und Park. Normaler geht es kaum. Nur im Dachgeschoss soll ein Musikraum entstehen, Daves Bässe stehen schon da. “Ein Mann braucht sein eigenes Zimmer”, sagt er mit einem Grinsen, als er uns herumführt. Überall stehen Umzugskartons, dazwischen ein Kinder-Kaufmannsladen, ein Urlaubsfoto von Dave mit einem eher mickrigen Angelerfolg, und ein Bild aus dem Neuseeland-Urlaub. Am Kühlschrank hängt ein Bild von Elvis. An einem hölzernen Küchentisch nehmen wir Platz. Mit einer Tasse englischen Tees bewaffnet, erzählt der als zurückhaltend geltende Dave über seine Band, seine kleine Familie, und hadert offen mit seinem bürgerlichen Leben, das er nun nicht mehr leugnen kann. “Ja, ich denke, ich bin jetzt erwachsen. Ich bin zwar noch nicht verheiratet, aber habe ein Haus und ein Kind – schon seltsam. Ich mache den Haushalt, gehe nicht viel weg. Um ehrlich zu sein: Ich hatte ein wenig Angst, dass ich euren Erwartungen nicht gerecht würde, als Giles anrief und sagte, dass ihr mich zu Hause besuchen wollt. Ich bin nicht Rock`n`Roll. Ich kann nicht nur saufen, rumsauen, Drogen nehmen und Interviews abbrechen. Bush sind nicht Oasis – im Gegenteil: Es ist eine schöne Sache, an einem Abend vor 2.000 Leuten zu stehen und am nächsten Tag abzuwaschen. Es hilft mir, nicht zu vergessen, was wichtig ist.” Bushs Auftritte bei Rock Am Ring und Rock Im Park 2000 waren das erste und einzige Mal, dass Dave bei einem Konzert seiner Band nicht dabei war. Der Grund könnte einleuchtender nicht sein: Eden wurde geboren. “Klar, die Band gibt es schon seit zehn Jahren, aber mein Kind wird für immer mit mir sein. Es ist so schon schwer genug, in drei Wochen wieder auf Tour zu gehen. Sie wächst so schnell in diesem Alter. Robin (Goodbridge, Bush Drummer – d.Verf.) muss es damals noch viel schwerer gehabt haben; seine Tochter kam zur Zeit von `Sixteen Stone` und `Razorblade Suitcase` zur Welt. Damals waren wir quasi dreieinhalb Jahre durchgehend auf Tour. Am Ende waren wir alle Alkoholiker und brauchten Schlaftabletten.” Wo Dave ohne Bush geblieben wäre, vermag er nicht zu sagen.
Musik sei immer sein Leben gewesen. Seit seine Geschwister ihm eine Gitarre und Punk-Platten schenkten, war das Ziel klar. Die ersten ernsthaften musikalischen Kontakte nach ein paar Schülerbands entstanden in Notting Hill und trugen sogar relativ schnell Früchte. Denn unter anderem traf er dort Wendy James, die Sängerin von Transvision Vamp, jener Mid-80s-Punk-Pop-Truppe zwischen Blondie und The Clash, die mit “I Want Your Love” einen der größten Hassliebe-Songs des Jahrzehnts schrieb. “Wir waren nicht die kredibilste Truppe auf der Erde, aber wir hatten Spaß und sehen uns auch heute noch ab und zu. Bis vor kurzem wohnte ich 200 Meter von Wendy entfernt.”
1993 trennten sich Transvision Vamp, und nur einen Monat später kam Dave ins Gespräch mit einem gewissen Gavin Rossdale. “Ich kannte ihn vom Sehen. Jeder kannte ihn, er war ein sehr sozialer Typ. Er hatte gerade eine Band gegründet und suchte einen Bassisten. Als ich mich dann im Proberaum vorstellte, saßen Nigel, ein Drummer, dessen Name mir nicht einfällt, und Gav im Raum. All die anderen Bewerber spielten völlig abgefahrene Funkläufe und so. Ich riss einfach geradeaus meinen Kram ab. (Dave lehnt sich vor und imitiert lachend sein Spiel.) Ich bekam den Job, und ein paar Monate später nahmen wir mit einem Minibudget `Sixteen Stone` auf. Wenig später kam dann der Anruf, dass `Everything Zen` auf `KROQ`, dem größten und wichtigsten Rock-Radiosender in Los Angeles, gespielt würde. Man sagte uns, wir sollen nach New York kommen und ein Video drehen.”
Robin – das Großmaul
“Ich war gerade dabei, ein Haus zu streichen, als ich die Nachricht bekam. Ich und Gavin verdienten unser Geld zu dieser Zeit damit, Büroräume anzumalen. Wir packten also unsere Sachen und flogen nach New York, wo wir erstmals merkten, dass etwas Seltsames passierte: Am 21. Januar 1995 spielten wir einen Gig im CBGB`s, dem großen New Yorker Punkclub: Iggy Pop, Debbie Harry, Patti Smith, Lou Reed – sie alle sind da schon aufgetreten. Wir kamen rein, und der Schuppen war randvoll. Es sah aus wie ein Videoset: Graffitis, überall atmete man förmlich Geschichte, und wir brauchten 20 Minuten, um überhaupt zur Bühne zu kommen. Diese Show war der Hammer und hat uns völlig weggeblasen. Weißt du, in London mussten wir jedes Mal bei Null anfangen. In New York spielten wir das erste Mal vor Leuten, die unsere Platte kannten und die Texte mitsangen. Wir spielten die Show, und sofort ging es zurück nach England – Häuser anmalen und Geld verdienen.”
Robin James Goodbridge wurde am 10. September 1965 in Gilford bei London geboren und ist Schlagzeuger bei Bush. Er hat eine Tochter mit seiner ersten Frau Glynis, von der er sich nach acht Jahren trennte. Während er Weihnachten 2001 noch mit seiner Familie in England verbrachte – seine Tochter lebt bei ihrer Mutter -, flog er über Silvester zu seiner neuen Freundin nach Kalifornien. Mit ihm müssen wir also übers Telefon sprechen und haben nur 20 Minuten. Der Mann hat Urlaub und will zum Strand. Dennoch bemüht er sich, in der kurzen Zeit möglichst viel zu beantworten. Mit Konversation hat er schließlich kein großes Problem – er ist bekannt und beliebt als derjenige, der redet, wenn keiner mehr reden will. Als musikalischer Motor der Band ist Robin, der einen Monat vor den Aufnahmen zu “Sixteen Stone” als letzter zu Bush stieß, inzwischen unverzichtbarer Bestandteil geworden und – wie gesagt – für seine große Klappe berühmt. “Wir sind wie Pac-Man! Wir gehen einfach herum und konsumieren Amerika”, war eines der ersten Statements, das die amerikanische Presse von ihm zu hören bekam. Und wer weiß – ohne diesen Charakterzug würde er vielleicht noch heute Häuser anmalen: “Ich sah Bush in einem Club in London und fand ihren Drummer unglaublich schlecht. Also ging ich nach dem Gig backstage und erzählte ihnen das. Ich war ziemlich voll und habe richtig dick aufgetragen, weil ich unbedingt den Job wollte. Ich wusste, es würde zwischen uns funktionieren. Und das tut es, bis heute.” Robin war 13, als er mit dem Schlagzeugspielen anfing, im Alter von 19 trommelte er sich als jüngstes Mitglied mit einer Blues- und Coverband durch die Londoner Pubs – die anderen waren alle 35. Danach spielte er in diversen anderen Bands, mit The Beautiful People nahm er sogar ein Album auf. Diese Platte spielte er auch Gavin vor, als er sich ein paar Tage nach dem ersten Treffen noch einmal nüchtern vorstellte.
Der erste Song, der mit Robin entstand, war “Everything Zen”. “`Glycerine`, `Comedown` und `Machine Head` waren schon fertig. Ein paar Monate später bekamen wir unseren ersten Plattenvertrag. Die Zeit nach dem Durchbruch in den USA war die umwerfendste und heftigste zugleich für uns. Wir spielten in Arenen vor über 18.000 Menschen, waren aber letztlich über drei Jahre permanent unterwegs. `Razorblade Suitcase` nahmen wir praktisch auf Tour auf.”
Während europäische Kritiker Bush als Grunge-Rip-Off abtaten, gleichte der damalige Triumphzug in den Staaten laut Robin einem Crash-Kurs in Sachen Musikbusiness. Die Band lernte schnell und brutal, was es heißt, groß zu sein. “Die Plattenfirmen-Leute sagten immer nur: `Entweder ihr wollt dabei sein, oder niemand wird etwas von euch wissen wollen. Also: Tut, was wir euch sagen.`” Bush taten. “Letztendlich sind wir fünf Mal am Stück durch die Staaten getourt. Wir alle hassten das Business und wollten nur noch unsere Ruhe.”
Nigel – das musikalische Gewissen
Und die nahm man sich. Während des legendären Rechtstreits mit ihrem Label `Trauma`, das Bush als Nobodys signte und sich inzwischen eine goldenen Nase an dem Quartett verdient hatte, gönnten sich drei Viertel der Band eine Auszeit. Nur Rossdale ging nach Irland, um Album Nummer drei, “The Science Of Things”, zu schreiben. Dieses Werk sollte zum bisher strittigsten in der Bush-Diskographie werden, und das in erster Linie aufgrund zwei kontroverser Charaktere: Gavin Rossdale und Nigel Pulsford. Nigel Pulsford wurde als jüngstes von drei Kindern am 11.4.1964 in Wales geboren und ist Gitarrist von Bush. Er stammt aus einer extrem musikalischen Familie – eine seiner Schwestern ist klassisch ausgebildete Violinistin, die andere spielte u.a. Keyboard für Cyndi Lauper – und wird nicht umsonst als das musikalische Gewissen der Band bezeichnet. Frühere Bands von Nigel hießen King`s Blank und Future Primitive, die auch eine Single namens “Bomb” veröffentlichten.
Nigel stellt gewissermaßen den Gegenpart zum Songschreiber Gavin dar. Drummer Robin beschrieb während des Interviews die Rollenverteilung bei Bush wie folgt: “Gavin schreibt die Songs, Nigel hasst die Songs, und ich und Dave versuchen zu vermitteln.” Pulsford bemüht sich gar nicht erst um ein Dementi: “Ich und Gavin haben zusammen Songs geschrieben, bis er der Meinung war, dass er nur noch seine eigenen Songs singen wollte. Mich hat das damals echt aufgeregt, und um ehrlich zu sein: Momentan kotzt es mich auch wieder an. Es gibt einige Spannungen zwischen mir und ihm. Ich denke, seine Alleingänge schränken uns ein. Das erste Album ist groß, unser bestes. Die anderen, vor allem `The Science Of Things`, haben Füller, und die hätten vermieden werden können. Klar, er ist das Markenzeichen, und das hat den Vorteil, dass Bush immer eindeutig für etwas standen. Aber ich denke einfach, dass wir weiter kommen würden, wenn er auch mehr von anderen zulassen würde. Meine Soloalben bestehen fast nur aus Songs, die ich eigentlich mal für Bush geschrieben habe.” Nigels Soloplatten entstehen größtenteils in seinem Haus. Ein gewaltiges Homestudio eröffnet sich uns beim Gang in den Keller. Teile von “The Chemicals Between Us” haben Bush hier aufgenommen, sowie eine Coverversion des Doors-Klassikers “Break On Through”, die allerdings nie erscheinen ist. Nigels Solodebüt “Heavenly Toast On The Paradise Road” von 1999 entstand zum Teil hier, zum anderen in Tennessee bei seiner Schwester. Zwei weitere Platten sind gerade in der Mache. Das Solowerk Pulsfords erinnert vom Ansatz her ein wenig an das von Alice In Chains-Gitarrist Jerry Cantrell: Der überschüssige kreative Druck wird abgelassen von einem Mann, bei dem man weiß, warum er Gitarre spielt, aber auch, warum er bei seiner Hauptband nicht singt. Auf dem Cover von “Heavenly Toast…” befindet sich ein Kinderfoto von Nigel, auf der Rückseite ein Bild seines Vaters. Als Nigels Vater starb, nahmen Bush gerade “Sixteen Stone” auf. “Ich hasse es, an dieses Album zu denken. Es erinnert mich an die schlimmste Zeit meines Lebens. Es ist eine Schande, dass mein Vater alles darauf folgende nicht miterleben konnte.” Bush widmeten ihm ihr Debüt. Dass sich mit dem Erscheinen von Album Nummer drei Bushs Schwerpunkt nach Europa verlagerte – so ist zum Beispiel “Letting The Cables Sleep” nur auf dieser Seite des Atlantiks ein Hit -, passt dem Familienvater mehr als gut. “Die Leute in Europa hören uns besser zu. Außerdem kann ich so an jedem Day Off nach Hause fliegen.” Nigel ist seit 1996 mit seiner langjährigen Freundin Judith verheiratet und Vater einer Tochter namens Olivia. Mit seinem riesigen Haus im nördlichen Zentrum Londons hat er sich eine perfekte Zuflucht geschaffen. “Wir haben dieses Haus spontan gekauft – es zu renovieren hat ungefähr dreimal so viel gekostet, wie wir dachten. Und das alles nur wegen dieses einen Zimmers”, erklärt er, als wir einen gut und gerne 50 Quadratmeter großen Raum betreten, der mit zwei Kaminen, einem großen Esstisch, einem Flügel und ein paar Spielsachen Platz bietet für Familie, Freunde und den deutschen Schäferhund. Ruhig ist es deshalb noch lange nicht, vielmehr geht es zu wie auf einem Bahnhof. Neben Olivia und Judith gehen in den 60 Minuten unseres Besuches diverse Freunde und Hausmädchen ein und aus. In eineinhalb Monaten wird Nigel zum zweiten Mal Vater. Ein Sohn, wie er kürzlich erfahren hat. “Es wird langsam voll hier”, grinst er und nippt an seiner Tasse Tee. Nigel entpuppt sich als äußerst dankbar für das, was ihm binnen der letzten acht Jahre mit Bush widerfahren ist. Dennoch ist spürbar, dass es ihm nicht leicht fallen wird, Ende Februar einmal mehr alles zurückzulassen, um wieder auf Tour zu gehen – zumal er es in der Band anscheinend sowieso nur durch seine Soloplatten aushält. Darauf angesprochen, denkt er sogar ganz offen darüber nach, Bush zu verlassen. “Ich habe Kinder, es gibt jetzt wichtigeres im Leben. Obwohl ich es vermissen würde. Wir haben mit Bush so viel erreicht – viel mehr, als wir jemals dachten. Ich habe schon einmal mit dem Gedanken gespielt aufzuhören. Immer wenn ich eine Pause mache, denke ich so.” Auf die Frage, wie er von der Verlobung Gavins mit No Doubt-Sängerin Gwen Stefani erfahren habe, antwortet Nigel: “Gavin hat mich angerufen. Ist schon komisch. Das wird wohl so etwas wie die königliche Hochzeit des Rock-Business. Eine ganz andere Welt als meine. Nun ja, es gibt ja auch gute Presse, jetzt, da Gwens Platte gerade rauskommt.” Ein Zyniker, keine Frage.
Gavin – der Ästhet
Herzlichen Glückwunsch, Herr Rossdale. “Danke, Mann. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das jemals machen würde, aber es fühlt sich gut an.” Gavin McGregor Rossdale, geboren am 30.10. 1964 in London, ist Gitarrist und Sänger bei Bush – und verlobt. Seit zehn Tagen. Am Neujahrstag 2002 hat er seiner langjährigen Freundin Gwen Stefani einen Heiratsantrag gemacht. Das kam überraschend, denn eigentlich wusste niemand nie genau, ob die beiden nun zusammen sind oder nicht. “Ich auch nicht”, grinst er. “Zumindest werden mich die Leute das jetzt nicht mehr ständig fragen.” Auf dem Kamin stapeln sich bereits die Glückwunschkarten zur Verlobung, und im ganzen Haus stehen Bilder des Paares: Keine hochwertigen Fotografien, sondern Schnappschüsse, wie aus dem Urlaub.
Höhepunkt der Galerie: Auf einem offensichtlich inmitten einer Backstage-Party aufgenommen Bild grinst Gavin mit freiem Oberkörper und einem Joint im Mund debil in die Kamera, während sich Gwen an seine Brust lehnt. Stört es ihn nicht, dass seine Freundin so, sagen wir mal, offensiv mit ihrer Weiblichkeit umgeht? “Wollt ihr ein Bier? Heineken, Kronenburg oder Becks?” Es wird angestoßen. “Weißt du, ich habe Gwen ganz anders kennen gelernt”, erklärt er. “Als ich sie traf, während No Doubt uns in den Staaten supporteten, war sie klein und schüchtern – ein Mädchen halt. Ich bin erst ihr zweiter Freund. Das Bild, das sie nach außen transportiert, ist ein gänzlich anderes. Aber sie will es so, und das ist auch okay. Es gibt Schlimmeres, als eine heiße Freundin zu haben. Was mich allerdings ein bisschen nervt, ist, dass sie in letzter Zeit viel mit dieser HipHop-Community zu tun hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Typen… wenn du weißt, was ich meine.” Schon verstanden. “Letztlich aber will ich eine selbstbewusste Frau, die macht was sie will. Anders würde sie es auch gar nicht mit mir aushalten.”
Zur Zeit wohnt Gwen bei Gavin, da sie in England Promotion für das neue No Doubt-Album macht. In einem kleinen Gästezimmer hat sie ihre Klamotten verstaut: zahlreiche Jacken, Oberteile und Hosen in zum Teil schreiend bunten Farben, zudem blonde Perücken und eine unglaubliche Ansammlung von Schuhen in allen Formen und Farben, die vielleicht irgendwann mal in sein könnten. “Weiber!”, sagt Gavin grinsend. Und wann ist die Hochzeit? “Wir wissen es nicht genau. Wir haben beide gerade Platten veröffentlicht. Vielleicht schaffen wir es ja diesen Sommer, eine Auszeit zu nehmen – aber nicht, wenn ein gutes Festival ansteht. (lacht) Weißt du, das Ganze ist noch zu frisch. Ich bin sehr gespannt auf die Zukunft und habe auch ein wenig Respekt. Es gibt keine positiven Beispiele von Ehen in meinem Umfeld. Gut, Gwens Eltern sind noch zusammen, meine aber sind schon lange getrennt und wieder neu verheiratet. So ist es mit meiner gesamten Familie.” Gavins Eltern trennten sich, als er noch ein Baby war. Bis zu seinem vierten Lebensjahr sprach er mit niemandem außer seiner Schwester, als Teenager wurde er mehrmals beim Ladensdiebstahl erwischt und hing in Nacht- und Schwulenclubs herum. Jetzt singt er jeden zweiten Abend in Konzertsälen rund um den Globus und sitzt hier, auf einer von zwei dunkelroten Couches im Wohnzimmer eines vierstöckigen Hauses in Central London, das direkt an einem Park liegt. Auf dem Türschild steht ein anderer Name als Rossdale, und das Schlafzimmer hat zwei Balkons. “Einer mit Blick aufs Land, einer mit Blick auf die Stadt. So mag ich das.” Das Zuhause des Sängers ist, das muss man zugestehen, todschick: nobel, aber dezent, üppig, aber geschmackvoll, mit Sicherheit horrend teuer, aber absolut stilsicher. Schwarzer Plüschteppich, Mega-Anlage im Wohnzimmer (800 CDs sind hier, die anderen drei Viertel in LA), eine riesige Küche mit zahlreichen Gemälden an der Wand, und ein Schlafzimmer der Marke Deluxe-Liebesnest – so lässt sich’s leben. Dieser Mann hat so viel Stil, dass einem die Tatsache, dass er nebenbei auch noch auf tierisch dicke Hose macht, fast schon sympathisch ist. “Gwen hat gesagt, dass ihr alles fotografieren dürft, nur nicht das Bett. Eigentlich schade, denn guckt mal…” Er wirft sich auf das in der Mitte des Zimmers auf einer Anhebung platzierte, aus Edelholz gefertigte Bett und drückt auf einen Knopf, woraufhin sich zwei Dachluken öffnen. “Während ich hier lag und die Fußball-Europameisterschaft sah, schien mir die Sonne direkt auf den Bauch.” Nochmals: Herzlichen Glückwunsch. “Ich bin kein Materialist, aber ich mag bestimmte Sachen. Und als Kunstliebhaber habe ich das Glück, mir einiges davon leisten zu können.” Offensichtlich. Eines der Bilder im Treppenaufgang wird in einer Stunde abgeholt, um zu einer Ausstellung nach New York gebracht zu werden.
Im dritten Stock befindet sich die Gebärmutter von Bush. “Auf diesem Ding hier sind sämtliche Bush-Songs entstanden.” Gavin zeigt auf einen hässlichen, grauen Kasten in der Größe eines Schuhkartons, auf dem ein Bush-Sticker klebt. Sieht aus wie altes Radio, ist aber ein Mehrspurgerät. Über dem Arbeitsplatz hängt ein Riesenbild von Bob Marley an der Wand, auf der Monitorbox steht ein kleiner Rahmen mit einem Foto von Nigel, Dave und Robin in irgendeinem Hotelpool, alle breit grinsend. “Es erinnert mich daran, worum es eigentlich geht. Siehst du, wie Nigel grinst?”, fragt er und dreht sich weg.
“Es gab eine Zeit, in der ich so sehr Bob Marley sein wollte, dass ich kiffte wie ein Beknackter. Aber als Sänger einer Band kannst du das nicht lange machen.” Inzwischen gibt es andere Vorbilder. “Mein Traum ist es, irgendwann wie Nick Cave, Bob Dylan, Neil Young oder Leonard Cohen zu sein, diese Menschen bewegen allein mit gesungenen Worten die Leute. Voll von Qualität – das wäre das Größte. Aber wer kann das schon? …Oh, da kommt er!” Ein etwa 50 Zentimeter großes, schwarzes Knäuel mit Rastazöpfen, bei dem man nicht weiß, wo vorn und hinten ist, galoppiert in unsere Richtung: Winston. Der Hund, der auf jedem Bush-Album in irgendeiner Form vertreten ist. Während des gesamten folgenden Gesprächs spielt er mit einem auf Druck piepsenden Ball und schafft es immer wieder, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Zunächst klingelt aber das Telefon. “Es ist Gwen”, flüstert das Zimmermädchen. “Oh, shit. Hey honey! Ich kann nicht so früh kommen. Ich habe meinen Vater nicht erreicht, damit er heute auf Winston aufpasst. Er ist wohl schon aufs Land gefahren. Und wenn ich mit euch essen gehe und dann noch in einen Club… Ich kann Winston nicht sieben Stunden allein hier lassen. Tut mir leid. Was meinst du? Okay, bye!” “Bush waren anfangs meine persönliche Gegenbewegung zum Britpop”, erinnert sich Gavin. “Ich mochte The Jesus & Mary Chain, The Fall und die Pixies, aber die ganzen Britpop-Bands gefielen mir mit ihrer selbstgefälligen Attitüde überhaupt nicht. Ich schrieb von Anfang an Songs, bei denen ich mir vorstellen konnte, sie mit 20.000 Leuten zu teilen. Dann traf ich Nigel und spielte ihm das erste Lied vor, das ich je geschrieben hatte: `Comedown`. Wir nahmen das Stück in seinem Studio auf. Nigel hatte die Möglichkeiten, meine Songs so klingen zu lassen, wie ich sie mir immer vorgestellt hatte. Ich sagte dann, dass wir zusammen arbeiten könnten, aber er meinte, ich solle die Songs allein schreiben und ihm die Sachen dann bringen. So läuft es seitdem.”
Eigentlich hat Rossdale alles erreicht, was man sich wünschen kann. Nur eines macht ihm immer noch überraschend schwer zu schaffen: “Generell sind mir die Medien hier immer noch unbegreiflich”, sagt er mit spürbar gedämpfter Stimme. “`Betrüger` hat uns der `Melody Maker` einst genannt – das muss man sich mal vorstellen! Nur weil wir keine typisch englische Musik machen. Oder dieser eine Schreiber vom `Rolling Stone`, der mal eine ganze Woche mit uns in den Staaten rumgehangen hat. Wir haben ihn in unseren Freundeskreis gelassen, uns Mühe mit ihm gegeben, er wollte Joints mit uns rauchen, damit er noch mehr aus uns rausquetschen kann – und dann in der Story hat er uns total fertig gemacht. Seltsamerweise haben wir ihn seitdem nicht mehr gesehen. (grinst) Aber wir wissen, wo er wohnt. Ich würde so gerne ein paar Leuten einmal richtig in die Fresse treten. Nur einmal Clint Eastwood sein – aber das Leben ist nicht so. Unsere einzige Antwort sind gute Platten.”
Auf die Frage, wer als erstes Bush verlassen würde, zögert Gavin. “Hat er dir nichts erzählt?” Wer? “Nigel. Er will den nächsten Monat bei seiner Frau sein, weil sie schwanger ist. Wir haben auch schon einen Ersatz: Chris Trainer, der früher bei Orange 9mm und Helmet war.” Nigel macht also einen Monat Pause? “Um genau zu sein: Er will für vier Monate nicht mitspielen, das hat er uns vor Weihnachten so gesagt.” Wird er Bush verlassen? “Keine Ahnung. Ich denke, in dem Moment, wo zwei Kinder in seinem Haus schreien plus Frau plus Hausmädchen, wird er wieder angerannt kommen! Aber ganz ehrlich: Ich weiß es nicht.”